Aus Kanzlei gesperrt: Wer Fristen ausreizt, muss deren Einhaltung durch erhöhte Sorgfalt sicherstellen können

Das Einhalten von gesetzlichen Fristen steht bei Rechtsanwälten auf der Liste der Gebote ganz weit oben. Denn nur, wenn ein Anwalt ohne Verschulden verhindert war, eine solche Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag die sogenannte "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" zu gewähren - also quasi eine zweite Chance. Davor muss er laut Bundesgerichtshof (BGH) aber nachweisen, naheliegend und ernsthaft versucht zu haben, die Frist trotz misslicher Lage einhalten zu können.

In eine solche missliche Lage geriet eine Rechtsanwältin, nachdem sie in der ersten Instanz einen Prozess über die Rückzahlung eines Darlehens verloren hatte und dagegen für ihre Mandantschaft in Berufung gehen wollte. Obwohl die hierfür geltende Frist am 02.06. ablief, legte sie die Berufung erst am 05.06. ein und beantragte gleichzeitig die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist. Als Begründung gab sie an, dass sie wegen eines Schwindelanfalls das Büro vorzeitig habe verlassen müssen und dabei den Schlüssel für die Büroräume in selbigen vergessen hatte. Damit habe sie das Büro nicht wieder betreten können. Zudem habe sie vergeblich versucht, eine Kollegin zu erreichen.

Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und verwarf die Berufung als unzulässig. Und der BGH verwarf nun die dagegen erhobene Rechtsbeschwerde der Rechtsanwältin als unzulässig. Ein Rechtsanwalt, der eine Frist bis zum letzten Tag ausschöpft, hat wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos eine erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist dennoch sicherzustellen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war hier deshalb ausgeschlossen, weil die Rechtsanwältin nicht alle erforderlichen und zumutbaren Schritte unternommen hatte, die unter normalen Umständen zur Fristwahrung geführt hätten. Die Anwältin hatte nicht erklärt, warum sie nicht zu ihrer Kollegin gefahren ist, um den Kanzleischlüssel abzuholen, oder warum sie nicht die Telefonnummern weiterer Kanzleikollegen oder -mitarbeiter erfragt habe. Zu guter Letzt wäre die Beauftragung eines Schlüsseldienstes möglich gewesen. So aber hatte die Rechtsanwältin schlicht und ergreifend die Frist verpasst - und dabei blieb es auch.

Hinweis: Fristen müssen eingehalten werden. Das gilt natürlich erst recht für Rechtsanwälte. Fragen Sie ruhig bei Ihrem Rechtsanwalt nach, ob und welche Fristen es gibt. Kurz vor dem Fristablauf spricht nichts dagegen, ihn an den Ablauf der Frist zu erinnern, wenn Sie noch nichts gehört haben.


Quelle: BGH, Urt. v. 11.07.2024 - IX ZB 31/23
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 10/2024)