Gesteigerte Sorgfaltspflicht: Alleinhaftung nach fahrlässigem Anfahren aus Busspur
"Nur mal kurz!" hört man oft von Autofahrern, wenn sie verbotenerweise in zweiter Reihe halten. Ob frische Brötchen der Grund waren, die den Beklagten reizten, "nur mal kurz" auf einer Busspur zu halten, bleibt offen. Klar ist, dass das Kammergericht Berlin (KG) die Folgen zu verhandeln hatte, nachdem der Busspurblockierer mit einem anderen motorisierten Verkehrsteilnehmer zusammenstieß, der "einfach nur" rechts abbiegen wollte.
Ein Autofahrer, der in zweiter Reihe auf einer Busspur stand, wollte wieder anfahren. Er schlug zu diesem Zweck die Vorderräder nach links ein und setzte an, loszufahren. In dem Moment querte ein anderer Autofahrer zulässigerweise die Busspur. Denn die Busspur wies exakt an der Stelle unterbrochene Linien auf, um ein Überfahren der Spur in die Rechtsabbiegerspur zu ermöglichen. Man ahnt es - es kam zur Kollision. Der querende Fahrer verlangte daraufhin vollen Schadensersatz, der andere Beteiligte hätte seiner Meinung nach erst gar nicht dort stehen dürfen und vor allem beim Anfahren eine gesteigerte Sorgfaltspflicht beachten müssen. Das sah der Busspurhalter naturgemäß völlig anders, in seinen Augen war ausschließlich der Spurwechsler schuld.
In erster Instanz wurde dem Kläger 1/3 des Schadens zugesprochen, in der Berufung hatte er mehr Erfolg. Das KG entschied nämlich, dass der Anfahrende allein haftet. Zwar sei es richtig, dass ein Anfahren nach einem Halten in zweiter Reihe nicht dazu führt, dass die gesteigerten Sorgfaltspflichten unmittelbar gelten. Die Situation sei aber mit dem Anfahren vom Fahrbahnrand vergleichbar. Das Halten auf einem Busstreifen in zweiter Reihe sei verboten. Zudem war erkennbar, dass das Überfahren der Spur an dieser Stelle zulässig war, um die Rechtsabbiegerspur zu erreichen. Daher ergab die Abwägung der Verschuldensbeiträge, dass der Anfahrende alleine haftet. Den anderen Beteiligten treffe keine Schuld, denn für ihn sei überhaupt nicht erkennbar gewesen, dass der andere aus dem Stand anfahren würde.
Hinweis: Es besteht eine gesteigerte Sorgfaltspflicht, die Absicht zum Einfahren in den fließenden Verkehr rechtzeitig (mindestens fünf Sekunden zuvor) anzuzeigen (selbst bei Geradeausfahrt im Fahrstreifen) und dessen Vorrang zu beachten. Für den Beklagten galt somit beim Einleiten des bevorstehenden Fahrstreifenwechsels durch Anfahren aus zweiter Reihe zusätzlich die Pflicht zur äußersten Sorgfalt und Beachtung des Vorrangs des fließenden Verkehrs (§ 7 Abs. 5 Straßenverkehrs-Ordnung).
Quelle: KG, Urt. v. 27.03.2025 - 22 U 29/24
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 08/2025)